Ich möchte Ihnen eine kleine Geschichte erzählen, die ich nicht selbst erfunden habe. Vielmehr habe ich sie im Alten Testament gefunden, dem Geschichts- und Geschichtenbuch des Volkes Israel.
Der reich gewordene Vater Jakob lagerte sich mit seiner Großfamilie in den Bergen. Bitte, das war kein Camping im schönen Gebirge Gilead, sondern eine Verschnaufpause auf der Flucht vor seinem Schwiegervater Laban. Schon damals gab es Schwierigkeiten mit den Schwiegereltern. Das ist tröstlich. Die Liebe zu ihnen wächst manchmal proportional mit der Entfernung. Deshalb hat sich der schlaue Jakob auch entfernt und freute sich seiner neu gewonnenen Ruhe. Nur war die Freude nicht von langer Dauer. Da kam doch der zornerfüllte und wutschnaubende Laban den Berg heraufgestiegen. Von weitem machte er seinem Ärger Luft. „Warum hast du auch noch meinen Hausgott mitgehen lassen?“ Jakob verschlug es den Atem. 14 Jahre geschuftet wie ein Tier, und dann noch als Taschendieb hingestellt zu werden. Das ist der Gipfel. Dies sagte er aber nicht, das dachte er nur. Höflich kam es über seine Lippen: „Bitte schön, such überall. Ich habe ihn nicht geklaut.“ Dann begann die schwiegerväterliche Hausdurchsuchungsaktion. Alle Zelte wurden umgekrempelt. Das ganze Gepäck wurde gefilzt. Jede Kiste wurde ausgeräumt. Ich stelle mir vor, wie Laban immer nervöser wurde. Er fand alles, Wertsachen, Wäsche, Wanzen, aber seinen Hausgott fand er nicht. So wurde Laban zum ersten Gottsucher, und dieser Gottsucher hat nichts gefunden.
Gott spielt nicht Verstecken
Zugegeben, das ist eine alte Geschichte, uralt sogar. Vor rund 3000 Jahren ist sie passiert, aber die Labans sind nicht ausgestorben. Wohl haben sie ganz normale Bürgernamen wie Maier, Müller oder Schulze, aber sie suchen immer noch, gerade so wie der lange Laban. Gott suchen ist „in“. Sie suchen bei Nacht den ganzen Himmel ab, denn „droben überm Sternenzelt muss ein guter Vater wohnen.“ Sie suchen am Morgen in der freien Natur, denn „der liebe Gott geht durch den Wald.“ Sie suchen am Mittag in den dicken Büchern, denn der Weltgeist hat sich hinter den Buchstaben versteckt. Sie suchen am Abend in der eigenen Brust, denn der Ewige hat in uns Wohnung bezogen. Sie suchen und filzen und klopfen. Sie werden wütend und resigniert und frustriert. Sie analysieren und diskutieren und meditieren, aber Gott finden sie nicht. Gottsucher sind bedauernswerte Figuren, die nur noch zum Schluss kommen können: Einen Gott gibt es nicht.
Und wenn auch Sie sich aufgemacht haben, und wenn auch Sie sich die Augen ausgucken, und wenn auch Sie zu den Gottsuchern gehören, dann hören Sie: Sie haben sich verhört. Sie brauchen Gott gar nicht zu suchen. Sie finden ihn nicht. Gott sucht Sie. Er hat sich aufgemacht. Er schaut sich nach Ihnen die Augen aus. Er will Sie finden, ausgerechnet Sie. Gott ist Menschensucher. Das ist der Punkt. So wie damals in Eden, als er durch das Paradies ging, sein Geschöpf suchte und durch den Garten rief: „Adam, wo bist du?“ So geht er heute durch die Welt, sucht seine Erschöpften und ruft durch Städte und Dörfer: „Mensch, wo bist du? Mensch, wo lebst du? Mensch, wohin hast du dich verirrt?“ Wenn Sie diesen suchenden Gott kennenlernen wollen, dann müssen Sie das Neue Testament aufschlagen. Der Arzt Lukas hat dort eine Geschichte aufgeschrieben, die er von Jesus selbst gehört hat. Sie ist eine echte Alltagsgeschichte von einer Hausfrau und Mutter im Vollstress.
Ich bin am Boden
Sie war kein Heimchen am Herd, sondern Familienmanagerin von Format. Sie hätte den Satz einer jungen Frau von heute unterstreichen können „Ich arbeite in der wichtigsten Werkstatt des Atomzeitalters, wo die Zukunft gestaltet wird. Ich bin Hausfrau und Mutter von 4 Kindern.“ Jene Mutter in der Bibelgeschichte war zwischen Küche, Keller und Kinder unterwegs, genauso wie heute. Der Familienbetrieb brummte. Und dann quäkte das Jüngste. Klar, es braucht seine Flasche, aber die Milch ist alle. Einkaufen. Sie geht zum Geldfach, aber dort ist nur Kleingeld; sie steckt 10 Geldstücke in die Tasche. Sie geht zur Tür hinaus, aber dann kommt die Freundin. Die muß sie vertrösten. Sie nimmt 3 Stufen auf einmal. Endlich rennt sie über die Straße, in den Laden, zum Regal, an die Kasse. „1,2,3...9. Einer fehlt.“ Noch einmal: „1,2,3...9. Einer ist nicht da.“ Noch ein letzter Zählversuch: „1,2,3...9. Einer ist verloren gegangen.“ Immer wieder gehen Dinge verloren: Geldstück, Hausschlüssel, Regenschirme, Brillen. Es gibt kaum etwas, das nicht abhanden kommen kann. Aber wissen Sie, dass auch Menschen verloren gehen? Gott zählt wie eine Hausfrau: „neunhundert, neuntausend, neun Millionen. Einer fehlt. Einer ist nicht da. Einer ist verloren gegangen.“
Ursprünglich gehören wir alle zu Gottes Besitz. Jeder ist sein Eigentum. Er steckt uns zwar nicht in die Tasche, aber er hält uns fest in seiner Hand. Und auf einmal sind wir gar nicht mehr dort, sondern sind herausgefallen und hinuntergefallen. „Abgefallen“ ist das Los derer, die seine Hand los sind. Der eine ist am Boden. Die täglichen Gemeinheiten in der Familie haben ihn fix und fertig gemacht. Jetzt kann er nicht mehr. Der andere ist in die Ecke gerollt. Die Sorgen um den Arbeitsplatz haben ihn eingekeilt. Was tun, wenn die Firma mir kündigt? Der dritte ist in ein Loch gefallen. Die seelischen Tragkräfte waren alle. Dunkel ist's geworden, stockdunkel, rabenschwarz. Am Boden sein, in die Ecke gerollt, in ein Loch gefallen, ohne Gebet, ohne Gemeinschaft, ohne Gottes Wort. Das meint der Begriff „verloren“. Einer schrieb: „Was mich in der Bibel am meisten erschreckt, ist das Wörtlein verloren.“ Sind Sie darüber auch schon erschrocken? Wir können nicht nur kaputt sein, platt, fertig, krank. Wir können auch ewig verloren sein. Das wäre der Supergau in unserem Leben. Dann wären wir ärmer dran als jeder Euro. Der kann nur abhanden kommen, wir aber müssten in der Gottesferne elend zugrunde gehen.
Die Nadel im Heuhaufen
Nun aber ist Jesus gekommen, um das Verlorene zu suchen. Er besucht uns, um den Menschen zu retten. Der Menschensucher sucht den Gottsucher. Wie er das tut? Hören Sie noch einmal in die Geschichte hinein. Die Mutter steht an der Kasse. Das Geldstück ist verloren gegangen. Was soll sie machen? Sie macht sich auf und sucht es.
Genauso ist Gott. Er kann es nicht ertragen, wenn ihm einer aus der Hand rutscht. Er kann es nicht haben, wenn einer von ihm abfällt. Er kann es nicht wegstecken, wenn jemand in einem Tief steckt. „Du fehlst mir“ sagt er dem Mädchen, das sich nach der Konfirmation von Glaube und Kirche verabschiedet. „Du fehlst mir“ sagt er dem Abiturienten, der mit seinem durchschnittlichen Zeugnis keinen Studienplatz bekommt. „Du fehlst mir“ sagt er zu der jungen Frau, die so bitter enttäuscht worden ist. „Du fehlst mir“ sagt er dem alten Mann, der im Heim Heimweh nach daheim hat. „Du fehlst mir“ sagt er jedem, auch Ihnen. Deshalb macht sich Gott zum Suchen auf, genauso wie diese Frau. Sie sucht und sucht und sucht. Im teuren Bungalow ist das kein Problem, aber in einer tristen Wohnwaschküche mit Tierzuchthaltung. Auf glänzendem Parkett kein Problem, aber auf festgetretenem Mist. Auch bei hellen Fenstern kein Problem, aber bei einem einzigen Loch in der Lehmwand. Sie zündet eine Öllampe an. Sie leuchtet alle Ecken aus. Sie wirbelt das Unterste zuoberst. Vielleicht blitzt es irgendwo auf oder bleibt irgendwo hängen. Sie sucht, so wie man die berühmte Stecknadel im Heuhaufen sucht.
Genau das ist Gottes Art und Weise. Gott ist ein suchender Gott. Zu Weihnachten wurde die Suchaktion gestartet. Mit 30 Jahren hat er die Städte und Dörfer abgesucht und gerufen: „Kommet her zu mir, die ihr mir aus den Händen gekommen seid.“ Er hat Zöllner und Sünder aufgesucht und ihnen ins Gewissen geredet: „Kommet her zu mir, die ihr von mir abgefallen seid.“ Er hat die Kaputten besucht und sie aufgerichtet: „Kommet her zu mir, die ihr am Boden seid.“ Kein Weg war ihm zu weit, keine Mühe zu groß, kein Ort zu schmutzig. Das unscheinbare Milchgesicht war ihm wichtiger als alle Milchstraßensysteme. Und als den Leuten dieser Menschensucher auf den Geist ging, setzten sie ihn fest, schleppten ihn vor den Kadi und machten kurzen Prozeß mit ihm. Die Todesstrafe wurde am Schandholz vollstreckt. Dort nieteten sie ihn fest und richteten den Marterpfahl auf dem Hügel Golgatha auf. Aber genau dieses Kreuz wurde zum Suchzeichen Gottes in der Welt. Keiner kann es übersehen. Seine ausgestreckten Hände weisen nach Ost und West. Alle müssen es hören: „Ich bin gekommen zu suchen, was verloren ist.“ Wie Gott sucht? So haben wir gefragt. Gott sucht Sie wie die Stecknadel im Heuhaufen.
Weihnachten im Himmel
Übrigens hat unsere Alltagsgeschichte ein happy end. Die Frau entdeckt ihr Geldstück. Sie bückt sich und hebt es auf. Jetzt ist es wieder in ihrer Hand. Deshalb strahlt sie. Ein Lachen geht über ihr Gesicht. Verlorenes zu finden, löst immer Freude aus. Und weil man die Finderfreude nicht für sich behalten sollte, weil man sonst vor Freude platzt, läuft die Mutter wieder aus dem Haus, über die Straße, zu den Nachbarn. „Hallo, he da, hört mal her! Dieses Geldstück habe ich verloren und gesucht und gefunden. Ich freue mich, freut euch mit!“ Und dann geht ein Fest ab, daß das Herz lacht. Freude pur ist das Ende der Geschichte.
Halten wir noch einmal inne. Was ist denn in Wahrheit passiert? Gott entdeckt einen Menschen. In Jesus bückt er sich ganz tief und hebt ihn auf. Jetzt ist er wieder fest in seiner Hand. Deshalb strahlt Gott. Ein Lachen geht über sein Gesicht. Verlorenes zu finden, löst auch bei unserem Gott Freude aus. So menschlich wird hier einmal von ihm geredet, der uns so oft unmenschlich erscheint. Wegen eines einzigen Menschen alarmiert er seine Engelbrigaden. „Hört mal her. Diesen Erdmann habe ich verloren. Diesen Erdenstaub habe ich gesucht. Diesen Erdenzwerg habe ich gefunden. Ich freue mich, freut euch mit!“ Und dann braust ein Engelchor auf, daß die Äonen voller Musik sind. In der Weihnachtsgeschichte wird davon. „Alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“ So ist also im Himmel Weihnachten, wenn auf Erden einer zurückfindet zu Gott. Was wäre das für eine Freude, wenn heute wieder einer gefunden wird! Was wäre das für ein Jubel, wenn heute einer wieder fest in Gottes Hand käme. Was wäre das für ein Orkan, wenn der heutige Tag auf Erden zum Weihnachtstag im Himmel wird!
Und wenn Ihnen das alles zu steil ist, dann beginnen Sie doch mit drei kleinen Schritten. Falten Sie die Hände: „Herr, finde mich bei Deinem Suchen.“ Lesen Sie die Bibel. Fangen Sie mit dem Lukasevangelium an. Gott will mit Ihnen durch sein Wort Kontakt aufnehmen. Suchen Sie eine Gemeinschaft von Christen. Gehen sie dort regelmäßig hin. „Allein geht man ein“. So helfen Sie Gott zur Finderfreude und sich selber zu neuer Lebensfreude.
Pfarrer Konrad Eißler, Hülben